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Aktualisiert am 18.06.10

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Text des Monats >> Rückblick >>Januar 2005



ICH BLEIBE

Ich sehe dem Herbstlaub des vergangenen Jahres nach. Wie immer spiegelt sich in den trockenen Blättern das Farbenspiel deines Haares. Deine Anwesenheit ist spürbar in meinem Rücken, doch ich will mich nicht umdrehen.
Die ersten zartgrünen Spitzen im Frühling ähneln den Fühlern, die du nach mir ausgestreckt hattest. War es vor einem Jahr oder vor zweien, ich kann mich nicht erinnern. Altweibersommer nennen sie diese Zeit, wenn die Fäden aus reinem Silber überall an den Sträuchern hängen und durch die Luft fliegen. Ich musste immer an ihr Haar denken, wie sehr es ihnen ähnelte. Wie oft haben wir uns gegenseitig von ihnen befreit.
Du bist knapp hinter mir und sie neben dir.
Fast ein nahtloser Übergang zwischen zwei Jahreszeiten, verzahnt durch eine euch eigene Farbenkomposition, so seid ihr. Ich bleibe übrig als Anhängerin einer ganz anderen Zeit. Ihr, die ihr schon immer mehr am Sommerende zu Hause wart. Ihr sucht in mir nach meiner Fremdartigkeit. Den Tupfen Lila in eurem Bild aus satten Grün und Brauntönen.
Ich kann ihr lautes und für eine Frau sehr tiefes Lachen hören. Möchte wissen, was du schon wieder gesagt hast in deiner nie gespielten Ernsthaftigkeit, die trotzdem - oder gerade deshalb - die Komik deiner Sprache für mich ausmacht.
Schon damals konnte ich es dir nicht übelnehmen. Eine Frau mit einer Stimme wie Jazz und Haaren wie Spinnweben. Zu früh hatten sie ihre natürliche Tönung verloren, schimmerten nun in allen Schattierungen wie Perlmutt. Im Gegensatz dazu keine einzige Falte in ihrem Gesicht, nur diese Doppelgrübchen in den Wangen, wenn sie lachte. Dann warf sie den Kopf in den Nacken und zeigte eine Reihe runder Zähne, in der einer fehlte. Ein Makel, mehr als liebenswert. Hilflos standen wir ihr gegenüber, du und ich.
Nicht nur dich überkam in solchen Momenten oft das Bedürfnis einfach leicht in ihren Kehlkopf zu beißen. Wir haben es fast immer getan. Dabei hast du mich von unten angesehen, aus den viel zu tiefliegenden Augen unter den starken Augenbrauen. Die wahre Schönheit ist das Abnormale, heißt es. Du warst für mich immer das Abnormalste.
Meinetwegen musstest du fortwährend deine Stirnfransen aus deinem Gesicht streichen. Und jedesmal habe ich sie zurück gestreichelt. Sie lachte dazu ihr Lachen und nannte dich Liebling. Ich konnte sehen wie dein Körper auf ihre Stimme reagierte, mit schwang. Dafür war dein Bariton meine größte Freude, am liebsten waren mir geflüsterte Gedanken an meinem Ohr. Oft genug haben wir geflüstert und beobachtet, wie sich die feinen Härchen am Halsansatz zwischen den Schulterblättern des anderen aufrichteten.
„Erzähl mir ein Geheimnis“, rief sie immer wieder und warf den Kopf in den Nacken.
Der Geruch von sich erwärmender Erde steigt auf. Das letzte Wasser der Schneeschmelze ist erst vor kurzem versickert. Der Boden unter meinen Füßen federt leicht und ich möchte nie wieder aufhören zu gehen.
Am meisten mochtest du, wenn wir mit dem Kopf zueinander lagen, sie und ich. Wenn sich das Weiss und Schwarz unserer Haare mischte zu einem Balanceakt der Ausgewogenheit. Zwei gegensätzlich zusammen gehörende Bilder, wie ein Spiegel quer durch die Zeit. Du hast die einzelnen Strähnen immer zu komplizierten Mustern angeordnet. Viele Fotos davon hängen über dem Sofa im Wohnzimmer.
Gerne gingen wir über die Felder, Hand in Hand. Dabei sammelte sie immer die schon fast bläulichen Federn der großen Saatkrähen, die sich von uns nicht stören ließen. Zuhause flocht sie mir Zöpfe und steckte die Federn hinein. Du hast hohe Backenknochen, wie eine Indianerin, sagte sie und strich mir über die Wange.
Ein paar Federn noch und du wirst uns davon fliegen.
Sie waren der Grundton und ich die Oberstimme, überall.
Manchmal saßen wir stundenlang, nur mit dem wenigsten, bekleidet im Gras und legten im Kreis die Hände aneinander. Einzig und allein um die Wärme zwischen uns entstehen zu spüren, sich durch die Fingerspitzen hindurch denken zu hören, was einem mehr verriet als jedes Wort und jede Geste. Dieses leichte Prickeln, weil man näher sein wollte und die Arme einen auf Abstand hielten.
Wir hatten ein großes Matratzenlager unter einem Dachflächenfenster. Du kanntest die Sternbilder und sie die alten Mythen dazu. Ich lieferte das kindliche Staunen. Lange sind wir wach gelegen in manchen Nächten und haben neue Geschichten erfunden, Satz für Satz auf den Rücken der anderen geschrieben - Jeder lag regungslos, angespannt, keinen Buchstaben zu verpassen.
An unserem Kühlschrank hing ein Plan, wer an der Reihe war in der Mitte zu schlafen. Selten, aber doch habe ich mich einsam gefühlt zwischen euch, euer beider Hände um meine Hüften ineinander verschränkt.
Nicht zu leugnen, dieses Bett war ein Ort, den außer uns noch niemand kannte. Niemand hatte sich die Mühe gemacht und versucht zu verstehen, was wir besaßen. Wir vermissten niemanden und nichts.
Bei Neumond, wenn wir nicht schlafen konnten,saßen wir im Dunkeln auf den Matratzen. Jede von uns hatte eine deiner Hände auf ihrem Bauch, so summten wir unser dreifaches Lied, bis wir einschliefen und dabei ein Dreieck bildeten, dessen Basis immer du warst.
Untertags mieden wir die Leute auf den Straßen mit ihren Blicken und du die Männer, die dich aus den falschen Gründen beneideten. Das Wort Liebe ist nie zwischen uns gefallen.
Ich habe immer deinen Hals geküsst, wenn sie meinen küsste und du mit einem Finger ihre Konturen nachzogst. Ich habe es getan, weil ich wusste, wie sehr du es mochtest, und sie hat es getan, weil sie dasselbe von mir wusste, und keiner von uns machte sich Gedanken. Selbst wenn sie an mich gekuschelt einschlief und ich über ihren Rücken streichelte, hattest du Teil an diesem Gefühl, bloß weil du uns ansahst.
Sie und ich teilten das selbe Schaumbad und wir wussten genau, du würdest am Schlüsseloch stehen. Eines deiner kleinen Spiele. Sie und ich schliefen auf der selben Seite und störten uns nie beim Umdrehen, weil wir es gleichzeitig taten. Eine deiner Lieblingsbeschäftigungen, uns im Schlaf zu beobachten. Wir bekamen Kopfschmerzen, sie und ich, wenn das Wetter plötzlich besser wurde. Du brachtest uns kalte Waschlappen und Wasser. Jetzt ist es schon so weit, dass ihr Kopfschmerzen bekommt. Habt ihr keinen Spaß mehr mit mir? Ernst wie immer von dir, bis auf ein kleines Lächeln.
Wir mochten die gleichen Teesorten, wir lachten bei den gleichen Fernsehserien. Ich las ihre Bücher und sie meine, und wir waren uns einig. Etwas Seltsames umgab uns, das ich lange nicht bemerkte. Zuerst dachte ich es wäre dein Neid, weil ich unsere Gemeinsamkeiten fast alle vergessen hatte. Ihre und meine sagten, wann wir morgens aufstanden und was wir kochten. Irgendwann fand ein Wandel in deiner Sprache statt, langsam, so dass er mir zuerst gar nicht auffiel. Die Worte waren die gleichen. Ich fühlte mich nicht mehr angesprochen. Du sprachst von ihr und mir nur mehr selten einzeln. Es fing an, dass du vergaßt, einer von uns einen Gutenachtkuss zu geben. Mich vergaßt du öfter als sie.
Ich kam zum Mittagstisch, und für mich war kein Teller aufgedeckt. Meistens hatte ich das Gefühl, du würdest an die Wand hinter mich starren. Es kam die Zeit, in der ich immer lauter sprechen musste, um von euch noch wahrgenommen zu werden, bis ich letztendlich nur noch schrie. Irgendwann habt ihr mich gar nicht mehr gehört. Ganz selten ist es passiert, dass du in meine Richtung gesehen hast, mit einem Ausdruck des Erkennens.
Dann hat sie immer schnell nach deiner Hand gegriffen und dich geküsst und der Ausdruck verschwand wieder. Als Zuschauer verfolgte ich weiterhin euer Leben. Ich würde es nie wieder das unsere nennen können. An diesem Punkt fing an sie zu hassen.
Ich war zuerst hier, aber sie würde zuletzt gehen. Sie war diejenige, die du umarmtest beim Einschlafen. Jetzt saß ich oft alleine unterm Fenster und summte mein Lied dem der Grundton fehlte. Ich bin nie gegangen, immer noch hier, mehr als ungesehen. Immer noch ein Teil von ihr. Sie sang bei der Hausarbeit, das hatte ich immer getan. Sonntags ließ sie das Frühstück aus wie ich, obwohl sie sonst ein Frühaufsteher war und ohne Frühstück nicht leben konnte. Für dich, schien es mir, hatte sie einfach mein Leben mit übernommen. Wahrscheinlich war ich für dich sowieso nie mehr als ein ausgelagerter Teil von ihr, eine Erweiterung.
Aber ich blieb.
Denn wenn du sie wie jetzt an dich heranziehst, und sie dir in die Augen sieht, weiß ich, dass du in den ihren mich sehen kannst.


Cornelia Travnicek (17 Jahre) aus Traismauer in Österreich gewann mit diesem Text den Publikumspreis des 14. Hattinger Förderpreises für junge Literatur 2004.