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Aktualisiert am 18.06.10

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Text des Monats >> Rückblick >>November 2004



Greta Granderath

Unkraut

Wenn die Besitzerin nicht da ist, nehme ich viel Spülmittel. Die Flasche schnappt nach Luft, wenn ich sie zurückstelle, und das macht winzige Seifenblasen. Ich vergrabe meine Hände in dem Schaumberg, der unmerklich schrumpft. Er knistert. Es ist warm in der Küche. Nur manchmal reißt der Mann der Besitzerin das kleine Fenster auf und raucht eine Zigarette. Seine Hand streckt er durch das Gitter ganz weit in den Hof. Manchmal stellt sich der Mann der Besitzerin hinter mich, ganz dicht. Und ich spüle einfach weiter. Manchmal legt der Mann der Besitzerin seine Hände unter meinen Rock und ich spüle einfach weiter und sage nichts, was ihn verscheuchen könnte. Und einmal ist die eine Hand noch so kalt, die linke, da greife ich im trüben Spülwasser in ein Messer, vor Schreck. Und auch da sage ich nichts und wir schauen nur, wie das Wasser sich langsam rötlich färbt.

Ich freue mich, wenn die Tschechin ‚Einmal Thymianhühnchen!‘ in die Küche ruft. Dann wird er danach riechen. Die Tschechin ist die Hübschere. Deshalb serviert sie und wird vom Mann der Besitzerin fern gehalten. Aber ich bin dick, wie die Besitzerin, die ihren Mann schlecht kennt.

Samstags und sonntags ist es voll. Aber leise. Ehepaare und Familien, die dem Mann der Besitzerin viel Arbeit machen. Manchmal ruft die Besitzerin auch in der Woche an. Dann wird neu dekoriert und es ist laut. Gymnasiasten sind laut. Sie trinken Bier mit Cola oder Cola oder Bier. Manche rauchen. Wenn die Tschechin in die Küche kommt, fächert die Schwingtür mir alles zu. Vor allem das Lachen. Ich spüle nur Gläser, wochentags. Der Mann der Besitzerin hat wenig zu tun.

Manchmal fahre ich auch einfach weg, wenn die Besitzerin nicht angerufen hat. Fahre mit dem grünen Fahrrad der Mutter umher, etwas raus aus der Stadt. Wenn es nicht reicht, dass ich am Wochenende nicht da bin und die Eltern trotzdem fragen, wann ich denn mal jemanden mitbringe. Zum Essen. Dann fahre ich einfach so weg. An der Bahntrasse entlang in die Vororte. Und wenn der fünfte Zug mich eingeholt hat, mache ich kehrt, als hätte ich sie reingelegt. Manchmal ist es schon dunkel, wenn ich umkehre.

Wir hatten schon immer Thymian im Garten. Ganz hinten, im Kinderbeet. Wenn es wärmer wurde, ging ich mit meinem kleinen Bruder in den Garten und wir zupften Unkraut im Kinderbeet. Das Nachbarsmädchen stand daneben und warf das Unkraut wieder aufs Beet. Ganz gezielt und ruhig, in runden Bögen. Und mein Bruder und ich jäteten einfach weiter und hatten unsere Freude. Wenn das Nachbarsmädchen nicht rauskam, pfiffen wir zweistimmig und wenn es dann nicht kam, gingen wir meist schnell wieder rein, weil es nicht lohnte.

Und als eines Abends die Besitzerin doch nicht auswärts ist, erinnert sie mich sehr an unser Nachbarsmädchen. Nur gepfiffen habe ich nicht nach ihr. Aber wir machen einfach weiter, als sie durch die Schwingtür kommt. Ich spüle und er steht hinter mir mit seinen Händen unter meinem Rock. Die Schwingtür stößt der Besitzerin in den Rücken. Sie schaut, bewegt sich nicht und da gibt auch die Tür auf, so scheint es mir. Als das Lokal am Abend schließt und die Küche schon dunkel ist, gehe ich durch die Schwingtür, bleibe stehen, dass sie mir in den Rücken stößt. Auch ich bewege mich nicht und da gibt die Tür auf, so scheint es mir.

Und eines Abends, als ich Wiedersehen gesagt habe und auf den Hof komme, hat das grüne Fahrrad der Mutter einen Platten. Und ich will nur drinnen nach Flickzeug fragen, aber dann schläft er mit mir. In dem Vorratsraum neben der Küche. Zwischen den Regalen voll mit Dosen, Gläsern, Wein, Bier, Gemüsekisten und Fleisch, das von der Decke hängt. Zwischen all dem schläft er mit mir. Und ich sage nichts, was ihn verscheuchen könnte, denn irgendwie schlafe auch ich mit ihm. Aber dann sehe ich die Besitzerin in der Ecke sitzen, auf einer Gemüsekiste. Sie schaut. Und da hätte ich gerne etwas gesagt, was den Mann der Besitzerin verscheuchen könnte, aber mir fällt nichts ein, was ich hätte sagen können.

Auf dem Heimweg schiebe ich das grüne Fahrrad der Mutter und überlege mir eine Ausrede. Der Schnitt im Reifen ist sehr sorgfältig.


Greta Granderath (Gelsenkirchen), Jg. 1985; Jury-Preisträgerin des Hattinger Förderpreises für junge Literatur 2004