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Aktualisiert am 18.06.10

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Text des Monats >> Rückblick >> November 2008



Finn-Ole Heinrich

[Der kann gut tanzen, dem das Glück vorsingt]

neulich

[Weiß nicht, irgendwie hab ich einfach eine große Fähigkeit zum Glücklichsein], sagt meine Mutter und sticht mit dem spitzen Hals ihrer neuen roten Plastikgießkanne in das dichte Grün auf unseren Fensterbänken. Sie sagt das einfach so. Wie meinstn das, will ich wissen. Sie zuckt die Schultern, [Wiederaufbauprogramme, wenns mir schlecht geht, starte ich einfachn Wiederaufbauprogramm], sagt sie, [ich überleg mir irgendwas, dass es mir wieder Spaß macht], irgendwas fällt mir da immer ein. Und weil ich mich gern freue, freu ich mich einfach viel, das macht fröhlich. [Auf was man sich alles freuen kann, das glaubt man immer gar nicht!].


Zivildienst

Ich habe einen ALS-Patienten betreut. ALS ist eine Nervenkrankheit, die nach und nach alle Muskeln lähmt. Der Mann, den ich betreut habe, konnte nicht mehr atmen, nicht mehr reden, nicht mehr essen. Nur seine Pupillen konnte er noch ein bisschen bewegen, manchmal gut, an anderen Tagen schon schwerfällig und ruckelnd. Ich habe den Mann ein wenig gepflegt, vor allem aber habe ich ihm vorgelesen, jeden Tag. Die komplette Zeitung. Danach Action-Romane, acht bis zwölf Stunden, mit Pausen natürlich. Die einzige Möglichkeit, mit ihm zu kommunizieren war, ihm Fragen zu stellen. Wenn er wegsah, hieß das „nein“, wenn er einen ansah, bedeutete es „ja“.

Als ich meiner Mutter damals von meinem Job erzählte, sagte sie, wenn sie je in eine solche Situation kommen sollte, dann müsse es jemanden geben, [der ihr die Maschinen ausmacht].


Richtfest

Wir waren ungefähr sechzehn und die Familie meines besten Freundes feierte, dass es ab heute ein Dach auf ihrem Haus gab. Es gab ne richtige Fete, bestimmt siebzig Leute da. Ich lernte den Opa meines Freundes kennen, ein kleiner Mann mit einem lustigen Gesicht. Er stellte sich an die Eingangstür und begrüßte jeden neuen Gast mit einem Schnaps, gemeinsames Prosten und Trinken inklusive. Als die Party fast zu Ende war, ist jemandem aufgefallen, dass der Opa verschwunden war. Alle fingen an zu suchen und ich hab ihn schließlich gefunden. Er hatte sich in einen kleinen Teich im Nachbargarten gelegt, wie in eine Wanne, den Hinterkopf auf das kleine Ufer, sehr entspannt. Ich tippte ihn an und der lustige alte Mann öffnete die Augen langsam, sein Mund war längst ein Grinsen und ich fragte ihn, ob alles in Ordnung sei. Ich half ihm aus dem Teich, wir liefen Hand in Hand in das halbfertige Haus, der alte Mann lief schneller als ich und hüpfelte ein bisschen. Wahrscheinlich weil ihm kalt war. Er grinste mich an, [jetzt heiß duschen ist das beste der Welt. Was dir Spaß macht, darfst du nicht verschieben, kapiert?]


Zivildienst

Um seine Haare zu waschen werden vier Leute gebraucht, es dauert zwei Stunden. Jeden Sonntag von drei bis fünf. Man rollt ihn auf die Seite, man legt ein Hebelaken unter, sichert alle Kabel, Schläuche, jeder hält einen Teil des Körpers. Wir rutschen ihn gemeinsam rüber in den elektrischen Rollstuhl.

Über dem Waschbecken halte ich seinen Kopf. Mit der Zeit habe ich gelernt, ein bisschen in seinem Gesicht zu lesen. In der Stellung seiner Augenbrauen, der Gesichtsfarbe, den Falten auf der Stirn und dieses Mal halte ich beim Haarewaschen seinen Kopf, sehe alles ganz genau, das Gesicht rosa, entspannt, keine Falte zu sehen, ich denke (und es ist und bleibt Interpretation, Mutmaßung, denn wir haben – natürlich – nie darüber geredet): er genießt. Er genießt gerade, die Haare gewaschen zu bekommen, das warme Wasser, die Massage, den Duft, die vielen Hände und Menschen mit sicheren Griffen und vielleicht endlich die Erlösung von einer juckenden Kopfhaut, das Gefühl von Sauberkeit. Sein entspanntes Gesicht in diesem Moment und er hätte es gesagt, vielleicht: [Glück ist nie unmöglich]. Und ich war sauer auf meine Mutter, dass sie so etwas sagen konnte, ohne überhaupt irgendwas zu wissen, von Haarewaschen und einem fremden Leben.


noch vor der Schule

Früher sind wir am Wochenende immer unterwegs gewesen, Freunde besuchen. Meine Schwester und ich hinten, meine Mutter vorn im Wagen. Ich erinnere mich: dunkel, wir fahren von der Autobahn ab, in eine Stadt, heute glaube ich, es ist Würzburg, [scheiße, welche Ausfahrt!], ich sehe nur Lichter und Dunkel durch mein Guckloch im beschlagenen Fenster. Meine Mutter fährt auf einen Parkplatz, wendet, meine Schwester fängt an zu heulen, ich bin nervös. Wo sind wir. Meine Mutter sagt, wir kommen schon an, [wir kommen immer an, das wisst ihr doch].


Vor einigen Tagen/Zivildienst

In einer Pappbox, zwischen einigen Stiften, Radiergummis, Stecknadeln finde ich einen alten Zettel aus der Zivi-Zeit. Damals hat jeder Arbeitstag damit begonnen, dass ich das oberste Blatt vom Abreißkalender riss und ihm den Spruch des Tages vorlas. Dann fragte ich, ob alles in Ordnung war und ob ich mit der Zeitung anfangen sollte. Manche Zettel habe ich aufbewahrt. Wenn mir der Spruch gefallen hat. Auf dem Zettel aus der Pappbox steht: [sich glücklich fühlen können auch ohne Glück – das ist Glück, Marie von Ebner-Eschenbach].


länger her

Ich weiß nicht mehr, wann das war, es muss schon eine ganze Weile her sein. Ich weiß noch, ich dachte: so einfach kann das jetzt auch wieder nicht sein. Meine Mutter meinte: [kalt duschen, he, so einfach isses], sie würde überhaupt nur noch kalt duschen. Weils mich fröhlich macht, [ganzen Tag lang].

Ich probiere das heute noch. Inzwischen auch, weil es das Klima schont.


Jetzt

[Häh], sagt mein Vater, [hast du'n Helm auf?]. Ich gebe zu, ein ungewöhnlicher Gesprächsanlass. Durch das Telefon höre ich seinen Besuch, Musik. Ich frage nochmal: Was ist Glück, Papa, was bedeutet das für dich: Glück.

Im Hintergrund plötzlich Singen, Applaus. Mein Vater sagt nichts, vielleicht überlegt er. Ich höre Lachen, blechern, aus dem Zimmer nebenan und durchs Telefon. Glück, sagt mein Vater, das ist einfach eine gute Gesundheit und ein schlechtes Gedächtnis. Aha, sage ich. [Ernest Hemingway], sagt mein Vater, [gutnacht jetzt, ich muss].

Finn-Ole Heinrich erhielt 2007 den Publikumspreis beim Hattinger Förderpreis für junge Literatur.

www.finnoleheinrich.de